Der Gesangverein Ruchheim sucht neue Stimmen und geht das Problem sehr konsequent anVon Lutz Schwab
Die Probe beginnt pünktlich beim Gesangverein Ruchheim. Ende Oktober soll ein großes Konzert gegeben werden. Aber was heißt schon groß bei einem Gesangverein in der heutigen Zeit? Alle Chöre schrumpfen. Wir haben uns angehört, wie Ruchheims ältester Verein mit drei Ansätzen bestehen will.Die Zeit ist knapp. Im Galopp treibt der Dirigent die Männer durch das geplante Programm des Konzerts. Immer wieder unterbricht er scharf, wenn etwas nicht auf Anhieb sitzt, ein Ton zu verhalten ist oder zu laut, wenn die Betonung auf dem falschen Vokal liegt oder – man ist als Pfälzer ja nicht ganz frei davon – eine Strophe eher genuschelt wird.Das klingt nicht nach Spaß, fordert Konzentration und das am Abend. Wobei nicht alle Sänger einen langen Arbeitstag hinter sich haben: Der Älteste ist 87, der Altersdurchschnitt kratzt am Rentenalter. Immerhin einer ist Neuzugang im Gesangverein, mit 32 Jahren eine echte Ausnahme: Felix Lieser hat sich entschlossen, seine Stimme zu erheben. Bereits sein Großvater war Mitglied im Chor, so Lieser. 40 Mitglieder hat der Gesangverein 1862 Ruchheim noch. In den goldenen Zeiten der 1950er waren es mehr als doppelt so viele Stimmen. Es ist der Trend der Zeit: Vereine sind für junge Menschen nicht mehr sexy – und Gesangvereine erst recht. Wer will schon vor Freunden und Bekannten auf der Bühne stehen und mit dem Handy gefilmt werden, wenn er „Sah ein Knab ein Röslein stehen“ anstimmt? Wolfgang Eiermann, zweiter Vorsitzender der Ruchheimer Sänger, ist sich des Problems durchaus bewusst. Das Programm, das für den anstehenden Konzertabend vorbereitet wird, sei musikalisch und gesanglich herausfordernd und solle zeigen, was der Chor könne, sagt er. Und das auch im Zusammenspiel mit einem Hornensemble, das beim Konzert dabei sein wird. Das erste Lied trägt den Titel „Schäfers Sonntagslied“. Und wer sich schon bei der Probe darauf einlässt, einfach auf den Klang, die Harmonien, die Abstimmung und die Perfektion zu achten, wird überrascht sein: Der Chor setzt alle Anregungen direkt um. „Das A ist zu weit hinten“, unterbricht er. Dann singt er in den Stimmlagen den Einsatz vor: „Erster Tenor, zweiter Tenor, Bass eins, Bass zwei“ – und plötzlich klingt die ganze Strophe anders, stimmig. In einem anderen Lied, „Mich trägt ein Traum“ nach dem Abba-Hit „I Had a Dream“, geht es um die Betonung des Wortes Traum. Wenn das Wort verklingt, sollte die Silbe „um“ nicht hervorgehoben werden, der Fokus müsse auf „Tra“ liegen. Im zweiten Ansatz ist das Wort klar und verständlich. So wird es auch beim Konzert sein. „Was wir bei dem Konzert machen, ist eher die Kür“, gibt Eiermann unumwunden zu. Die stimmliche Einheit, das Streben nach Perfektion. „Wir verfolgen aber auch eine andere Strategie, und dazu gehört auch modernere Chorliteratur.“ Bei einem weiteren Konzert werde man deshalb Lieder von Udo Jürgens singen, und zwar mehrstimmig. „Das begeistert dann meist das Publikum mehr, weil man die Lieder kennt. Und die sind auch nicht schlecht“, so Eiermann. Nur eben nicht so anspruchsvoll. Reicht es, moderne Lieder zu singen, die das Publikum kennt? „Das allein reicht nicht“, sagt der zweite Vorsitzende. Da sei er sich mit Wolfgang Scharfenberger einig, der seit mehr als 20 Jahren erster Vorsitzender ist. So kommt es zur zweiten Strategie, gegen das Chorsterben: Kooperationen. Das aktuelle Konzert wird mit dem Singverein Oggersheim 1842 gegeben. Mit den vereinten Stimmen reicht es zum Konzert – praktisch als Projektchor. „Allein ginge das nicht mehr, dafür sind wir zu wenige“, so Eiermann. Und die dritte Strategie? „Auftreten und zeigen, dass wir Spaß haben.“ Beispielsweise beim Neujahrsempfang in Ruchheim – und dann eben mit Liedern von Udo Jürgens. Ob das Konzept aufgeht, muss die Zukunft zeigen. „Es macht Spaß und man sitzt auch nicht allein zu Haus“, macht Felix Lieser all jenen Mut, die vielleicht einmal bei einer Probe mitmachen wollen. Noch Fragen? „Herbstlicher Liederabend“ von Gesangverein 1862 Ruchheim und Singverein 1842 Oggersheim mit dem Kurpfälzischen Hornquartett, Samstag, 26. Oktober, 17 Uhr, Protestantische Kirche in Ruchheim. Musikalische Leitung: Georg Treuheit. |
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Quelle
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