Der Verein Kinderhelden unterstützt jedes Jahr rund 1300 Kinder in ganz Deutschland beim Start ins Schulleben – auch in Ludwigshafen. Das Problem vor Ort: zu wenige ehrenamtliche Mentoren, zu viele wartende Kinder. Wie Mentoren zu echten Helden werden können.

Von Allegra Bosch


Knapp 34.000 Minderjährige leben in Ludwigshafen, davon 8000 in den Stadtteilen Nord und Friesenheim – genau dort, wo die beiden Kooperationsschulen der Kinderhelden stehen. Lehrer der Goetheschule im Hemshof sowie der Rupprechtschule in Friesenheim empfehlen seit drei Jahren ihre Schüler an Eins-zu-Eins-Mentoringprojekte des Vereins. Die Metropolregion Rhein-Neckar GmbH setzt sie gemeinsam mit der Förderung der BASF um.

20 Mentoren aus der Stadt und dem Umland begleiten aktuell 35 Ludwigshafener Schulkinder mit erschwerten Startbedingungen. 20 weitere Kinder, auch Mentee genannt, stehen auf der Warteliste. Mehr Chancen- und Bildungsgerechtigkeit hat sich der Verein Kinderhelden zur zentralen Aufgabe gemacht. Noch immer bestimme nämlich das Elternhaus die Bildungschancen der Kinder, deswegen „profitieren sie sehr von einer ungeteilten Aufmerksamkeit außerhalb ihrer Familie“, erklärt Geschäftsführerin Linn Schöllhorn die Grundidee.

Mindestens ein Schuljahr lang trifft sich ein Mentor wöchentlich mit seinem Mentee. Im engen Kontakt zu den Eltern, die „dankbar für die Unterstützung sind“, werden zwei- bis dreistündige Treffen in der Schule oder im öffentlichen Raum ausgemacht, zum Beispiel in Parks oder Bibliotheken. Dort wird in erster Linie das Lesen geübt, schließlich ist „Lesen das Tor zur Welt. Die meisten unserer Grundschulkinder haben anfangs keine wirklich gute Basis“.

Bei einer gemeinsamen Leseolympiade kann man sogar eine kleine Auszeichnung gewinnen. Neben den schulischen Kompetenzen im Lesen, in Mathematik oder Deutsch steht auch die charakterliche Entwicklung im Fokus: „Kinderhelden ist mehr als ein reines Nachhilfeprogramm“, betont Schöllhorn. Mentoren werden sorgsam und individuell für jedes Kind der Kooperationsschulen ausgesucht, es findet „eine Systematisierung des Zufalls“ statt.

Selbstbewusstsein stärkenBundesweit sind Kinderhelden-Mentoren durchschnittlich in ihren Zwanzigern bis Vierzigern, berufstätig und (noch) kinderlos. Keiner von ihnen braucht eine pädagogische Vorerfahrung, sie werden im kurzen Einführungsprogramm des Vereins geschult. Anschließend übernimmt der Mentor ehrenamtlich eine Vorbildfunktion für sein Grundschulkind und bringt dabei seinen ganz eigenen Wissensschatz mit. Insbesondere solle er laut der Geschäftsführerin seinem Schützling in der Zeit des Mentoringprojektes Mut machen, damit das Kind mit gestärktem Selbstbewusstsein sowie besserem Lern- und Arbeitsverhalten der Welt möglichst frei begegnen könne.

Kinderhelden nennt die Partnerschaft von Mentor und Mentee „Tandem“. Das zweisitzige Fahrrad verbildlicht, wie sehr ein Mentor das Grundschulkind stützt – das Kind aber auch seinen erwachsenen Mentor.

75 Prozent der Kinder, die der Verein begleitet, haben von zu Hause aus einen anderen kulturellen Hintergrund als die Mentoren. Sie sprechen eine andere Sprache, feiern andere Feste. Linn Schöllhorn selbst hat vor der Geburt ihrer Kinder einen Mentee mit afrikanischen Wurzeln jahrelang unterstützt. In der Zeit ihrer Partnerschaft ist Schöllhorn regelmäßig in Berührung mit der Kultur ihres Schützlings gekommen, sie habe Integration gelebt. „Das hat meinen Horizont erweitert“, sagt sie heute darüber.

Fast alle Mentoren berichten der 47-Jährigen von ähnlichen Erlebnissen: Sie hätten frühere Vorurteile abgelegt, seien neugieriger und zu besseren Zuhörern geworden. Durch die regelmäßigen Treffen abseits der Schulbänke hätten viele außerdem den eigenen Stadtteil neu kennengelernt.

Der Kulturwissenschaftler Klaus P. Hansen definiert Kultur als die Gesamtheit der Lebensgewohnheiten eines Kollektivs. Die „Tandem-Zeit“ erweitert demnach sowohl die Lebensgewohnheiten des Mentors als auch die des Mentees und reißt die kulturellen „Grenzen“ ein. Schöllhorn fasst es in wenigen Worten zusammen: „Diese Begegnungen erden und bereichern.“

Weltreise in der Bücherei

Mit fortschreitender Zeit verbessern die Grundschulkinder immer mehr ihr Alltagsdeutsch. Ein Mentee habe, so erzählt Schöllhorn, noch nie vom „Überkochen der Milch“ gehört, bevor das Kind mit seinem Mentor Milch gekocht hatte. Ein anderer Mentee, der kaum still halten konnte, wurde von seinem Mentor zum Angeln mitgenommen. Das geduldige Warten auf anbeißende Fische habe ihn schnell beruhigt. Wiederum ein dritter Mentee konnte mit seiner Familie aus finanziellen Gründen nicht verreisen, also unternahm sein Mentor mit ihm eine „Weltreise“ in der Stadtbibliothek. Gemeinsam führten die beiden darüber Buch, welche Sprache in welchem Land gesprochen wird und welche Tiere dort leben.

„Alle Kinder haben enormes Potenzial“, stellt Schöllhorn heraus. Nicht jeder Interessierte müsse Mentor werden und die Verantwortung für ein Grundschulkind übernehmen. Es reiche schon, wenn ein paar Leute mehr dieses einzigartige Angebot in die Welt tragen.

Quelle

Ausgabe Die Rheinpfalz Ludwigshafener Rundschau - Nr. 103
Datum Freitag, den 3. Mai 2024