Wahlcheck (10): Am 9. Juni wird ein neuer Stadtrat gewählt. Vor welchen Aufgaben stehen die Politiker in ihrer Amtszeit? Was sind die größten „Baustellen“ in den nächsten fünf Jahren? 1200 Flüchtlinge muss Ludwigshafen 2024 unterbringen. Über die Stimmung in der Bevölkerung hat Christiane Vopat mit der Integrationsbeauftragten Hannele Jalonen gesprochen.

Frau Jalonen, manchmal hat man den Eindruck, dass sich Ereignisse wiederholen.

In den Jahren 2015/16 haben schon einmal ähnlich viele Menschen in Ludwigshafen Asyl gesucht wie heute. Rund 2500 Geflüchtete musste die Stadtverwaltung damals einquartieren. Erinnern Sie sich noch an die Stimmung in der Stadt?

Ja, sehr eindrücklich sogar. Die Stimmung in der Bevölkerung war sehr gut, und die Bevölkerung war sehr hilfsbereit. Wir hatten zehn Arbeitskreise in zehn Stadtteilen und zehn Asyl-Cafés. Das erste Asyl-Café gab es damals schon ein paar Jahre, die anderen entstanden dann in den Jahren 2015/16. Ich bin von einem Arbeitskreis zum nächsten gegangen. Damals waren ungefähr 900 Ehrenamtliche in Ludwigshafen aktiv, die sich auf vielfältige Weise engagiert haben, zum Beispiel bei den Stadtspaziergängen oder in Sport- und Sprachangeboten für Geflüchtete.

Damals hatten die Ehrenamtlichen um hauptamtliche Unterstützung gebeten. Wie ging es dann weiter?

Ja, deshalb haben wir im November 2015 den runden Tisch Asyl gegründet, an dem die Leitungen der einzelnen Arbeitskreise aus den Stadtteilen vertreten waren. Ebenso waren andere Akteure wie die Ausländerbehörde und das Jobcenter mit dabei. Sogar die Ortsvorsteher waren im Boot. Es war eine sehr bewegte Zeit. Ich habe noch nie so viele Angebote bekommen, auch von Unternehmen, die den Menschen helfen wollten. Es war: Wow! Bei der Verwaltung wurde wieder eine Abteilung Asyl gegründet. Im Jobcenter wurde ein Servicepoint Migration eingerichtet. Es sind an vielen Stellen neue Strukturen entstanden.
Heute sind wir in einer ähnlichen Situation mit Blick auf die Anzahl der Geflüchteten, die Ludwigshafen in den vergangenen beiden Jahren zugewiesen wurden. Ein Ende ist nicht in Sicht. Aber die Stimmung ist mittlerweile eine ganz andere. Nicht nur in Ludwigshafen.Das ist richtig.

Wie sehen Sie die heutige Situation in der Stadt?

Von den Asyl-Cafés sind nur noch drei übrig: das Café Asyl in Mundenheim, das Café Welcome in Oggersheim und der Treff global im Hemshof. Aber durch den Ukrainekrieg ist auch wieder viel Neues entstanden.

Als Anfang 2022 die ersten Flüchtlinge aus der Ukraine kamen, gab es durchaus auch wieder eine große Hilfsbereitschaft. Viele Ludwigshafener haben Quartiere für die Frauen und Kinder angeboten. Inzwischen jedoch werden auch die Neuankömmlinge aus der Ukraine in Notunterkünften einquartiert.

Die Bereitschaft, Menschen aus der Ukraine zu helfen, ist immer noch größer als bei Geflüchteten aus anderen Krisengebieten. Aber sie ist nicht mehr so groß wie zu Beginn des russischen Angriffskriegs vor mehr als zwei Jahren.

Einige Flüchtlingsaktivisten in Ludwigshafen haben von einer Zwei-Klassen-Gesellschaft unter den Geflüchteten gesprochen, weil die Menschen aus der Ukraine kein Asylverfahren durchlaufen müssen.

Ja, das ist richtig. Die Ukrainer sind sofort anspruchsberechtigt. Im März 2022 ist in Ludwigshafen ein Ukraine-Kreis unter den Ehrenamtlichen entstanden. Aber es gibt weiterhin auch viele Geflüchtete aus anderen Ländern, die ebenfalls Unterstützung brauchen. Ein paar Helfer für die Ukraine-Flüchtlinge sitzen mittlerweile auch mit am runden Tisch. Außerdem ist die Initiative „LU can help“ im Heinrich-Pesch-Haus entstanden, die viele Angebote macht. Durch den Ukrainekrieg sind verschiedene neue Projekte und Initiativen in Ludwigshafen auf die Beine gestellt worden.

Wie viele ehrenamtliche Helfer sind denn heute noch im Einsatz in der Stadt?

Ich kann das nur schätzen: ich weiß zumindest von mindestens 100 Freiwilligen. Die Helfer in den Jahren 2016/17 waren laut einer Umfrage, die wir damals gemacht haben, mehrheitlich weiblich, gebildet, 60 plus. Mittlerweile sind diese Ehrenamtlichen natürlich älter und auch weniger geworden. Viele haben sich zurückgezogen. Deshalb wird oft die Frage gestellt: Wo ist der Nachwuchs? Wo sind die jungen Leute, die sich engagieren? Auch wenn die Ehrenamtlichen, die seit bald zehn Jahren dabei sind und sich sehr gut auskennen, eine sehr gute Arbeit machen. Nicht vergessen darf man aber, dass sich auch viele Migranten, die schon lange in Ludwigshafen leben, für Geflüchtete engagieren.

Für dieses Jahr ist die Rede von 1200 Menschen, die Ludwigshafen zugewiesen werden. Die Menschen sollen vor allem in Notunterkünften im Stadtteil West untergebracht werden. Dort werden auch ehrenamtliche Helfer gebraucht. Woher sollen die Helfer kommen?

Zunächst machen wir den Menschen aktuell in der Notunterkunft in der Walzmühle verschiedene Angebote. Dienstags findet dort ein niederschwelliger Deutschunterricht statt, mittwochs gibt es Informationen über das Leben in der Halle, über die Regeln des Zusammenlebens in den begrenzten Räumen, aber auch über die Umgebung der Walzmühle. Dabei helfen uns die „Brückenbauer“, das sind unsere Sprachmittler, die selbst Migranten sind, bestens integriert und mehrsprachig. Donnerstags finden Besichtigungen und Exkursionen statt, zum Beispiel in die Stadtbücherei, zu Kleidertreffs für Secondhand-Kleidung oder zu Beratungsdiensten. Solche Angebote soll es auch in den neuen Unterkünften in West geben. Auch eine Fahrradwerkstatt, von denen es 2015/16 insgesamt fünf gab, wird gerade wieder aufgebaut. In der Achtmorgenstraße 17, bei König Céphas Bansah, ist seit 21. Mai immer dienstags ab 17 Uhr Gelegenheit zum Mitmachen. Aber wir brauchen auf jeden Fall auch wieder neue ehrenamtliche Helfer. Für die Fahrradwerkstatt in der Achtmorgenstraße zum Beispiel. Das ist ein wichtiges Projekt, um Vorteile in unserer Stadtgesellschaft durch persönliche Begegnungen abzubauen und gleichzeitig sinnvolle Beschäftigungsmöglichkeiten für Asylbewerber sowie für Menschen in prekären Lebenssituation zu schaffen. Genauso wichtig ist die Förderung der Mobilität und nicht zuletzt auch der sportliche Aspekt. Außerdem planen wir ein Fußballturnier Anfang Juli mit dem Ehrenamt und den Geflüchteten.

Gibt es für die Bayreuther Straße auch Überlegungen, ein Café Asyl zu eröffnen?

Die Cafés sind 2015/16 durch das Ehrenamt entstanden. Es bleibt abzuwarten, ob sich das wiederholt.
Interview: evo
ZUR PERSON

Hannele Jalonen ist seit 2005 Integrationsbeauftragte der Stadt. Sie kam 1981 aus Finnland als Au-pair-Mädchen nach Deutschland. An der Uni Mannheim studierte sie Germanistik und Anglistik.

Quelle

Ausgabe Die Rheinpfalz Ludwigshafener Rundschau - Nr. 120
Datum Samstag, den 25. Mai 2024